Zweiter Teil

Ich komme nicht wirklich häufig hierher. Dennoch ist dieser Ort einer meiner Liebsten. Eigentlich ist es bloß ein verlassener Heizungskeller in dem sich kleine Jungs die noch keine Haare unter den Armen haben sich vor Größeren Jungs (mit Haare unter den Armen) verstecken müssen.
Hier ist das Leben einfach stehen geblieben. Verstaubte alte Werkbänke, ein verrosteter Ersatzboiler und jede Menge zerfledderter Poster von nackten, dickbusigen namenlosen Frauen, die mittlerweile schon um die 60 sein müssten, sind Zeuge eines ehemaligen Hausmeister Arbeitsplatzes. Ich teile mir diese Einsamkeit lediglich mit ein paar Spinnen, Scharben und vielleicht ein paar verirrten Ratten.  Aber für den Moment ist das auch gut so, es ist völlig in Ordnung.
Meine Gedanken kreisen sich gerade zu sehr um diese eine Sache beim heutigen Spiel. Mag sein, dass ich schon des Öfteren gepunktet habe und schnell war ich auch schon immer. Doch dieses Mal fühlte ich mich anders.. Ich spielte mit so viel Überzeugung, uneingeschränkten Willen und Spielwut. In mir war so viel unerklärliches, etwas, dass ich vorher nie von mir kannte. Nicht so extrem. Nicht so stark .. Es war, als hätte mich nichts aufhalten können, nicht einmal dieser Koloss an der gegnerischen Linie.
Doch was wäre passiert wenn ich es nicht geschafft hätte? Was wenn der Koloss mich wirklich aufgehalten und mein Wagemut mich zum Scheitern gebracht hätte?
Das ist was mir keine Ruhe lässt und mich zwingt, mich wieder und wieder in dieses Spiel zurückzuversetzen. Dieses Gefühl nicht mehr ich selbst zu sein, jemand Fremdes in mir der mich steuert. Immer noch Ich, aber mit verbesserten Fähigkeiten. Ein Ich das schneller, schlauer und stärker ist als ich eigentlich in Wirklichkeit bin.
Sogar die Möglichkeit, dass er mich hätte aufhalten können, selbst die kleinste Chance, gab es für mich einfach nicht. Ich wusste, dass ich es schaffen würde, ich konnte nur gewinnen.
Was bedeutet das?

Mit zu viel getrunkenem Bier und mürrischem Blick torkle ich die Straße entlang. Es muss jetzt gerade gegen neun Uhr sein, denn die Sonne nimmt einen rötlich-orangenen Farbton an und es wird langsam kühler. Es ist mitten unter der Woche, denn die Leute ziehen sich allmählich in ihre erbärmlichen, sicheren Leben in ihren Häusern zurück um sich vor der Dunkelheit der Nacht zu schützen. Übrig bleiben nur die Versager, Künstler und armen Schweine die jetzt erst zur Arbeit fahren müssen.
Zumindest weiß ich zu wem ich im Moment gehöre.
Doch es ist mir scheiß egal. Ich werfe meine halbvolle Bierdose einem parkenden Auto entgegen und der Inhalt ergießt sich in einem schönen Kreis um die Dose herum, während ich lallend ein frivoles Lied vor mich her trällere, dass ich mal von meinem Bruder aufgeschnappt habe.
Die Leute um mich scheint es nicht mal besonders zu interessieren, was ein besoffener Typ um diese Uhrzeit tut. Anscheinend wollen sie mir gegenüber einfach keine Aufmerksamkeit erregen. Sie ignorieren mich oder versuchen verkrampft wegzusehen. „Soll mir recht sein ..“
Ich stolpere dem Auto entgegen, dass ich eben abgeworfen habe. Es ist ein Mittelklasse Wagen. Nicht besonders teuer, aber sicher auch kein Schnäppchen gewesen. Bestimmt nicht neu gekauft, aber zumindest ein Jahreswagen.
Meiner Kehle entkommt ein Knurren und auf einmal fühle ich diese bittere Leere in mir, die ich seit dem Spiel versucht habe zu unterdrücken, sie wegzuschieben. Doch jetzt ist sie da und tritt mir unverhohlen in den Magen.
„Na mein schönes Stück.“  Unkontrollierbare und kaum verständliche Laute gebe ich von mir während ich mit dem Kopf an der Beifahrerseite klebe. Ich blicke mit glasigen Augen in mein eigenes, undeutlich widergespiegeltes Gesicht.
„Ich will wetten du gehörst jemandem ganz Besonderem, jemandem der in seinem Leben viel erreicht hat. N‘ guten Job hat, ne‘ Familie, vielleicht ein oder zwei Kinder. Bestimmt jemand der seit seiner Kindheit wusste was er später mal sein würde. Früh hat er angefangen zu sparen um sich dich leisten zu können, nicht wahr? Du gehörst doch bestimmt jemandem der weiß wofür er dich braucht, jemand mit einem Plan.“
Ich lehne ganz nah vor dem Beifahrerfenster und meine Stirn drückt sich platt. Meine Augen verschließen sich vor Allem und meine Stimme senkt sich. Fast unhörbar, murmele ich:
„Jemand, der weiß wer er ist…“
Ich versuche vorsichtig auszuatmen und sauge wieder tief Luft in meine Lungen ein. Die Fensterscheibe beschlägt sich, wodurch mein sowieso schon undeutliches Gesicht komplett verblasst und damit unkenntlich für mich ist. Tränen drücken gegen meine zusammengekniffenen Augen und ich versuche immer noch auszuatmen und mich zu beruhigen. Im nächsten Moment schlage ich mit aller Macht gegen die beschlagene Scheibe!
Durch den Aufprall gibt meine Hand ein lautes, widerliches Knacken von sich und die Scheibe bleibt völlig unversehrt. Ungläubig blicke ich auf meine Hand herab und lasse meinen Schmerzen mit einem Schrei nun freien lauf. Meine Hand pocht unentwegt. Kein Moment vergeht in dem ich nicht an diesen unfassbaren Schmerz denken kann. Langsam sinke ich auf meine Knie und heiße Tränen haben nun endgültig den Weg durch meine Augenlider gefunden. Ein Wimmern kann und will ich auch nicht mehr unterdrücken. Heute früh noch war ich der verrückte Champion der einen Koloss gestürzt hat, jetzt bin ich ein besoffener Versager der sich die Hand an einem Auto gebrochen hat und heulend in der Gosse liegt. Was für ein tiefer Fall, wie konnte das nur passieren? Warum?
„So viel Kraft, mein Hübscher, aber ich bin mir sicher, egal was für ein Problem du hast, die Fensterscheibe kann nichts dafür.“
Wütend darüber wer es wagt mich jetzt anzusprechen und meint sich über mich lustig zu machen blicke ich hoch. Genau in das Gesicht der Frau von der Tribüne.

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Theus Makel

Erster Teil

„Siehst gut aus, Theus. Bist du auch bereit für morgen?“
Bereit. Dieses Wort schallt mir immer und immer wieder durch den Kopf, ohne Unterlass. Solange bis es irgendwie die Bedeutung verliert wofür es im Moment eigentlich steht. Bin ich bereit?
„Natürlich bin ich das, aber sobald ich Captain bin, fliegst du als erstes aus dem Team!“ Oid und ich lachen beide laut auf, wir klatschen laut und protzig unsere Hände ab und verschwinden.
Ich gehe den Flur der Schule entlang und denke darüber nach, was er eben zu mir gesagt hat. Je weiter ich gehe, desto mehr versinke ich in meinen Grübeleien. Hier und da grüßen mich einige Leute, vereinzelt bemerke ich einige Mädchen die mir zulächeln und mich beäugen. Darunter auch ein Mädchen namens Jana, auf das ich selber schon seit längerem ein Auge geworfen habe.  Doch ich nehme sie alle nicht wirklich wahr. Um mich herum verschwimmt alles, ich bin komplett konzentriert, aber auf das Falsche. Bereit?

Im hohen Bogen fliegt das Ei über die Köpfe der Anderen. Es dreht sich um immer wieder um die eigene Achse und dreht sich, und immer wenn es das tut schmerzt die Sonne stärker in meinen Augen. Mein Blick ist so stark auf das Ei fokussiert, dass mir das im Moment aber egal ist. Die Rufe um mich herum werden immer lauter. Von außen muss es wie ein wirres Chaos wirken, das sich undurchdringlich über das Spielfeld zieht, doch wenn ich es mir ansehe, sehe ich nur Formationen und Strategien, Verbündete und Feinde. Und den unbändigen Willen zu siegen. Über uns die brennende Sonne, unter uns der zertretene Rasen. Ein Schlachtfeld welches wartet erobert zu werden und zwar von mir.
Ich laufe immer weiter nach vorne, immer weiter. So weit bis ich kurz vor der gegnerischen Linie auf einen Koloss treffe. Er überragt mich locker um zwei Köpfe und seine Arme können sich mit meinen Oberschenkeln messen. Ich laufe weiter und verzichte auf jede Zimperlichkeit. Meine Beine befördern mich meilenweit nach oben und behutsam wie ein Neugeborenes fange ich dieses ledernde Ei in meinen Armen. Unter mir erkenne ich wie der Gegner im Trab Anlauf nimmt, nur um wenig später in einem tödlichen Sprint mich nun anvisiert. Sein ganzer Körper schreit förmlich „STOPP!“. Dem habe ich nur wenig entgegenzusetzen und versuche auf meinen Beinen zu landen ohne zu stürzen, damit dieser Gigant sich nicht völlig umsonst in Bewegung gesetzt hat. Uns trennen nun nur noch wenige Meter. In meinem Kopf versuche ich sämtliche Möglichkeiten durchzugehen, doch jede endet entweder mit einem Ballverlust oder gar dem Erwachen in dem Krankenzimmer, begleitet von unerträglichen Kopfschmerzen. Also entscheide ich mich für die Dümmste aller Optionen.
Seine Arme breiten sich wie Flügel aus um mir den Weg zu versperren. Wie ein Netz will er mich umspannen und somit festsetzen, genau das versuche ich nun zu meinem Vorteil  umzusetzen. Er wird nicht einfach aufhören zu laufen, bloß weil sich unsere Gesichter gleich so sehr zusammenprallen, dass wir wohl als siamesische Zwillinge enden werden. Nein, er wird so lange weiter laufen und mich wie ein Zug mit sich mitschleifen bis nichts mehr von mir übrig bleiben wird.
Fünf Meter. Jetzt habe ich sowieso keine Wahl mehr, anhalten und sagen: „Habs mir anders überlegt, hier ist das Ei. Gut gespielt! Hand drauf!“ Dieser Zug kennt keine Bremsen.
Drei Meter. Ich schließe die Augen und umklammere  das Ei, dass nichts und niemand mir dieses Baby nehmen kann, gleichzeitig achte ich darauf so zärtlich zu es zu sein als wäre es eine Geliebte bei unserem gemeinsamen ersten Mal. Er sieht mich überrascht und etwas tumb an, als würde er ahnen was ich nun vorhabe.
Ich werfe mich mit den Füßen voran auf den trockenen Rasen und versuche mich durch seine riesigen Waden durchzumanövrieren. Vorbei an seiner Schuhgröße 49, seinen verschwitzten Knöcheln und vorbei an allem was sich sonst noch so südlich seines Gürtels verbergen mag, gleite ich weiter. Hinterkopf, Rücken, Hintern, Waden. Alles brennt und wird mit Sicherheit offene Wunden haben. Schmerzen breiten sich überall aus, mein Orientierungssinn verabschiedete sich bereits in dem Moment als ich zu rutschen anfing und mein Verstand war sowieso schon von Anfang an nicht beteiligt. Aber nichtsdestotrotz scheine ich angehalten zu haben, nicht nur das, über mir sehe ich blauen Himmel und keine viel zu knappe Sporthose mehr.
Ich habe es geschafft, ich bin durch! Die gegnerische Linie erstreckt sich in meinem Blickfeld in seiner vollen Schönheit, das Einzige was ich jetzt noch tun muss ist über sie zu laufen. Mit dem Ei.
Doch hinter mir tut sich etwas und der Zug wendete sich schneller als erwartet, zudem fährt er wieder! Ich richte mich mit letzter Kraft auf und versuche dasselbe. Laufen! Schneller, schneller, schneller! Aber es reicht nicht, denn der Zug holt immer weiter auf und die Linie kommt will sich mir stoisch widersetzten, indem sie einfach nicht näher kommt. Wieder greife ich in meine Trickkiste und versuche einen letzten Akt der Verzweiflung indem ich einfach springe.
Für einen kurzen Moment scheine ich zu fliegen. Es fühlt sich so leicht an, unbeschwert, wäre hinter mir nicht noch dieser Koloss der scheinbar auf dieselbe Idee kam wie ich und nun auch zum Hechtsprung ansetzt. Mit einem alles in mir erschütternden Krachen lande ich auf  meinem Bauch. Die Welt wird schwarz und für einen kurzen Moment habe ich das Gefühl ohnmächtig zu werden, doch der nächste Aufprall verhindert das. Gefühlte 300 Kilogramm pures Fleisch wirft sich auf mein Hinterteil und umklammert mich mit einer barbarischen Urkraft. Doch alles was zählt ist nun die Frage: Wo ist das verfluchte Ei? Ich versuche hoch zu blicken und suche verzweifelt. Links, nur wenige Zentimeter neben meiner nicht-gepolsterten Schulter liegt es. Wunderschön und unberührt. Ich habe gepunktet.
Auf dem gesamten Spielfeld und auf den Tribünen wird laut gebrüllt, gefeiert und gejubelt. Ich drücke den Fleischberg beiseite.
„Nichts für ungut, Anabolika!“ Etwas benommen reiche ich dem Koloss die Hand, aber dieser erwidert meine freundliche Geste nur mit einem Grunzen und dreht sich um, um zu gehen. Ich zucke mit den Schultern und hebe das Ei um es mit Stolz geschwollener Brust in die Luft zu halten. Sie jubeln mir zu. Mir und das was ich gerade geschafft habe. Alle sind völlig aus dem Häuschen und ich muss die Tränen unterdrücken. Das ist alles was ich jemals wollte. Die Leute sind aufgestanden um mir zuzujubeln. Mein Blick geht über die Tribünen, alle Augen sind auf mich gerichtet. Ich genieße es.
Doch auf einmal  halten meine Augen an und entdecken eine Frau die mir ein wölfisches Grinsen entgegen wirft. Mein Lächeln friert ein, genau wie mein Herz. Der Jubel wird zum Nebengeräusch. Sie applaudiert und ruft nicht. Sie steht einfach nur da und sieht mich an. Nein, sie starrt direkt in mein Herz.
Die Menge auf der Tribüne fängt an auf das Spielfeld zu rennen und in dem Gewirr aus durcheinander laufenden Menschen verliere ich die Frau aus den Augen. Die Kälte in meinem Magen zieht sich zurück, wenn auch nur langsam. Ich kann sie immer noch irgendwie fühlen.

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Der leblose Wächter

Nicht zu wissen was hinter den Wolken vor sich geht, nur auf die verschiedensten Grautöne zu blicken, lässt einen seufzen. Nur zu erahnen, was hinter dem Horizont passiert, macht einen müde. Dauernd daran erinnert zu werden wieso man nun hier ist und nicht dort, wo man gerne wäre, macht einen verrückt.
Überall donnern laute, ohrenbetäubende Geräusche und schlagen wie peitschen in das Trommelfell. Ein leises Piepen in der Stille wird zum stetigen Begleiter. Aber Ruhe kommt nicht auf. Vielleicht nie wieder.
Schwarze Erde liegt überall und bedeckt den ganzen Boden. Kein grün kann hier erblühen, denn dafür müsste es Leben geben. Leben ist ein einfaches Wort, mit einer unglaublichen Bedeutung. In einem kleinen Graben, selbst gegraben, liegt er und hält Wache. Leise und komplett still beobachtet er den Himmel, der trostlos über ihn ragt. Wolken sind bloß Mauern für die Sonne, sonst nichts, aber trotzdem sind sie da und wollen nicht weg. Seit Wochen, Monaten oder Jahren. Jahre mögen überzogen sein, aber das ändert nichts daran, dass es sich so anfühlt. Wann ist ein Tag ein Tag oder eine Minute eine Minute, wenn man nicht zumindest die Sonne sehen kann wie sie ihre Bahnen langsam und doch bedingungslos läuft?
Mit Leben hat das hier wenig zu tun. Nur warten und beobachten, in einer grauen Hölle die einem das Leben gehässig vortäuschen.
Wieder eine Explosion und aufgewirbelter Dreck der sich über ihn legt, gefolgt von einem leichten vibrieren in der Erde. Der Dreck ist überall und auch in seinem Gesicht aber seine Augen sehen nicht mehr als vorher. Noch mehr Bomben sind Kilometerweit zu hören, dieses Mal leise und ohne bebenden Boden. Stille legt sich über die schwarze Erde. Er bewegt sich nicht und beobachtet weiter, immer weiter. Er muss ruhig sein, denn es gibt Leben dass ihn zu töten versucht und seine Aufgabe der stillen Wacht ist wichtig.

Keine fünfzig Meter entfernt befindet sich ein verkohlter Baum. Schon ganz zu Anfang der Wochen, Monate oder Jahre war dieser Baum nicht mehr von seiner schönen Farbe bedeckt, nur noch dunkler Ruß ist übrig geblieben. Was sonst, dieser Baum war bereits lange Tot. Vögel und Eichhörnchen würden sich für gewöhnlich in diesen Baum niederlassen, doch das ist bereits vorbei. Er bleibt schwarz und leblos. Das Leben hat sich verabschiedet und nichts zurückgelassen. Vielleicht ist es auch von hier geflohen um dem allem zu entkommen. Es bleiben nur noch Bomben und Explosionen.
Seine hellgrauen Augen schauen in den Himmel und nichts kann er erkennen. Aber er sucht weiter. Eine weitere Explosion zerreißt die Stille und nichts als ein dröhnendes Geräusch wird hinterlassen. Der kahle Baum schaukelt rhythmisch im Wind und erhält Aufschwung von der Druckwelle der Bombe. Dem Baum ist es egal ob schnell oder langsam, er hält seine Wacht und verpasst davon keine Minute. Niemals.
Das Dröhnen wird immer lauter und die Explosionen scheinen immer näher zu kommen. Laute Schüsse aus Gewehren sind zu hören, bohren sich in den schwarzen Sand und hinterlassen kleine Löcher die aber sofort vom dunklen Sand gefüllt werden. Alles passiert ganz schnell. Panzer Rollen in Richtung des mühselig geschaufelten Graben. Sie hinterlassen tiefe Kerben in die Tote Erde, doch es gibt nichts mehr wem das stören könnte. Immer mehr Soldaten umstellen den Graben und fangen an, hysterisch zu rufen und zu brüllen. Ansonsten ist es still. Würde man die Waffen, den Panzer, die Explosionen und die Schreie weglassen, wäre es still und vielleicht wäre das Einzige was man hören könnte, der Baum, der leise im Wind schaukelt.
Eine Waffe wird auf den wachenden Soldaten gehalten. Keine Bewegung, er hält seine Wacht. Seine graue Haut ist weiter völlig leblos. Immer lauter wird gebrüllt und mehr Waffen auf ihn gerichtet. Warnschüsse werden abgegeben, ein ins Bein und der zweite in den rechten Fuß. Aber er bewegt sich nicht, er verlässt seinen Posten nicht und hält weiter seine leblose Wacht.
Auf einmal öffnet sich der Himmel und die Sonne erscheint in einer Explosion aus gebündelten Farben aus den Wolken. Bloß ein kleiner Lichtstrahl, der aber mit solch einer Intensität strahlt, dass sämtliche Soldaten ihre Augen bedecken müssen. Bis auf ihn, er beobachtet weiter und sieht direkt in die Sonne. Ohne unterlass saugt er jede Farbe des Spektrums in sich auf. Das Licht bricht in seinen Augen und er sieht Rot, Orange, Gelb, Lila, Blau, sogar etwas Grün. Die Sonnenstrahlen erweitern sich und erreichen den Baum. Sonst passiert nichts. Der Wachende blinzelt einmal, während ihm eine Träne aus seinem Auge herabläuft, so weit bis sie in die schwarze Erde fällt. Dort liegt sie und vereint sich mit dem toten Boden. Er schließt die Augen und der verbrannte Baum hört auf zu schaukeln.

Dort wo der Wachende lag ist nichts, außer toter Erde. Der Graben bereits wieder gefüllt. Nichts erinnert an ihn. Um ihn herum ist nichts als grauer Sand der sich weigert fruchtbare Samen aufzunehmen und zu gedeihen. Der verkohlte Baum ist mittlerweile abgeholzt, außer einem kleinen, lebenden, grünlichen Keimling, dass still im Wind schaukelt.

Leere Gedanken

Leere Stunden vergingen seit ich zum wiederholten Male den Styx abgelaufen bin. Der Trübsal wird ganz allmählich Herr meiner Sinne und es grämt mich. Nach all den Jahrhunderten der Isolation und Einsamkeit ist es nun das erste Mal, dass ich wirklich Trauer über mein Schicksal empfinde. Es scheint als würde mein tristes Gefängnis immer schwerer nach meinem Herzen greifen. Ich passiere gepeinigte Seelen die mich mit leeren Augen ignorieren. Ihr unwirklicher Blick ist keinem Ziel gewidmet und auch ihr Weg scheint einfach sinnlos zu sein. Sie empfinden nichts, außer dem ihnen aufgetragen Schmerz. In dem ähneln wir uns. Der Schmerz. Schmerzen ertrage ich! Jede Stunde die vergeht und jeder dahingegangene Tag in weiterer Einsamkeit. Es ist fast unerträglich. Ich neide meine Brüder nicht, war ich es doch selbst der sich für diesen abgelegen Ort entschied. Vor so langer Zeit. Wer hätte Ahnen können, dass die Ewigkeit so lange und so von Begehren nach Nähe gehüllt sei? Selbst mein tierischer Freund vermag nicht dieses Bedürfnis zu stillen, ist er doch nur zum Wachen erschaffen wurden und nicht zum Lindern von Gottesnöten. Ich streichle seinen dreiköpfigen Leib und trage mich selbst in melancholischer Art zu meinem Thron welcher mit Sicherheit bereits Stumm auf seinen Herrn wartet. Der Herr der Seelen und des Reichtums. Reichtum. Ich muss Grinsen über diese schmähliche Bezeichnung meines Zustandes. Wäre ich wahrlich reich, würde ich wohl kaum dieser Depression erliegen. Aber was wissen die Menschen, welche mir diesen großzügigen Titel einst gaben, schon von Reichtum? Bauern, welche mit Fleiß und harter Arbeit des Nachts zu ihren Familien zurückkehren dürfen und ihre Frauen, Kinder und Verwandte in die Arme schließen dürfen gelten als Arm. Widerwärtig. Überflüssig. Bemitleidenswert. Beneidenswert. Mein goldener Thron erstreckt sich vor mir. Unverändert nach all den Jahrhunderten. Den Gedanken, dass ich meine Brüder nicht neide muss ich doch noch korrigieren. Ist es doch Neid der mich überkommt denke ich nur an das was sie besitzen. Ähnlich wie der Bauer besteht dieser Besitz nicht aus irdischen Besitztümern. Jeder von ihnen liebt und wird geliebt. Ein Gefühl welches mir nur allzu fremd scheint. Ein Schrei durchdringt die dämmrige Wirklichkeit der Unterwelt. Trotz der bekannten Klänge muss ich doch aufhorchen. Wie gerufen klingt die Musik meines Lebens. Denn nicht wohliges Stöhnen einer Geliebten oder süßlich flüsternde Worte, sondern die Ausrufe des Leidens und Gräuels begleiten mich stetig. Ohne Ende in Sicht, ohne Zuversicht auf Besserung oder einen kurzen Moment des Glückes. Schwer, schwer und allein bette ich mich auf meinen Thron. Wie von selbst legt sich mein Kopf auf meine Faust und mein Blick geht in die Leere. Stunden scheinen zu vergehen, meine Glieder werden steif. Doch nichts, wahrlich nichts lässt mich aus meiner Melancholie emporsteigen um ihr zu entfliehen. Meine Gedanken schweifen zu dem Moment zurück, an dem alles anfing. Der Tag an dem ich mich für dieses Leben aus eigenem Willen entschieden habe. Als Ältester unter meines Gleichen müsste mir das Recht zufallen über die Obigen zu herrschen und zu richten, doch verzichtete ich freiwillig. War ich doch müde von Jahrzehnten der Intrigen und Kriegen. Das Vorrecht des Ältesten ließen mich die Gräuel unseres gemeinsamen Vaters am längsten ertragen. Noch heute erinnere ich mich an die Zeit die ich in dem Bauch meines Vaters verbrachte. Stunden, Tage, Monate, Jahre. Verzehrt, verschlungen und vor allen Dingen allein. Noch ehe ich das erste Mal das Licht erblicken konnte, erblickte ich zu aller erst die erdrückende Dunkelheit. Als alles sein Ende nahm und unser jüngster Brüder uns endlich befreien konnte und sich die Sonne wie ein Blitz in meine Augen versengte, beanspruchte er bereits den Himmel und damit die absolute Herrschaft. Sollte es mir doch recht sein, wollte ich einfach nur zurück in mein Gefängnis, ohne Gefahr, ohne Sonne, aber auch ohne Wärme. Ich sprach zu ihm: „Zeus! Nimm, was Dir zusteht und lass mich hinabfahren in die Unterwelt, wo ich über die Toten wachen werde. Es ist mein Wunsch, denn beschäftigten mich die Jahrzehnte der Einsamkeit in dem Wanst unseres Vaters mit vielen Fragen, doch eine ist mir besonders wichtig. Wer denkt an mich, bin ich doch allein und eingeschlossen an diesem Ort. Gefangen und vergessen. Das war ein unsägliches Gefühl welches niemand erleiden sollte, weder Gott noch Titan, weder Mensch noch Tier. So will ich denn wachen.“ Mein Bruder sah mich verdrossen an und legte behutsam seine Hand auf meine Schulter. Ich weiß noch, wie ich ihn kaum wahrnehmen konnte, da die Sonne mich noch immer blendete. Sah er wirklich verdrossen aus? Ich vermutete es. „Mein treuer Bruder. Ich sehe welche Bürde Du Dir auflasten möchtest, verstehe ich auch nicht warum, könntest Du doch zusammen mit mir auf dem Olymp herrschen. Aber respektiere ich deinen Wunsch, wirklich.“ Weder Hoffnung, noch Glück oder ein anderes gutes Gefühl umfingen mich. Auch kein schlechtes. Wollte ich doch einfach nur in Ruhe weiter meiner Einsamkeit nachgehen. Wollte ich mich gerade auf den Weg in meine neue Heimat aufmachen, ließ mein Bruder meine Schulter nicht los. „Doch wirst Du mir für diese Bitte einen Dienst leisten müssen.“ Der Moment ließ mich zusammenfahren. Was hatte ich getan? Mein müder Verstand hinterging mich und brachte mich in diese Intrige. Jeder Gott wusste was mit den Verlierern des Krieges passieren würde und ich hatte mich freiwillig zum Henker gemeldet. „Wie auf die Toten, wirst Du auf sie achten müssen. Jeden Tag, bis zur letzten Minute unserer göttlichen Ewigkeit. Sie müssen bestraft werden für jene Gräueltaten die sie dir und unseren Geschwistern angetan haben.“ Meine Gedanken verschwimmen ab diesem Punkt. Sah ich doch nur meine ewige Strafe für das Ablehnen dieses göttlichen Angebotes und den Missmut in den Augen meines Bruders. Das war das letzte woran ich mich noch erinnern konnte, die Sonne, welche brutal in meine Augen stach, den Krieg und die Verwüstung die er mit sich brachte und den unbändigen Wunsch dem allem einfach nur noch zu entkommen. Voreilig wie sich herausstellen würde. Mein Wunsch wurde erfüllt. Ich erhielt mein Reich der Abgeschiedenheit. Ich erhielt die Dunkelheit, ich erhielt den Reichtum, ich erhielt die Einsamkeit, ich erhielt qualvolle Schreie die mich in den Wahnsinn treiben sollten und ich erhielt Jahrhunderte Zeit, um mich meinen Fehler langsam gewahr zu werden. Wie versteinert sitze ich hoch erhoben, über allem, tief unter der Erde, auf meinem Thron. Doch, was ist das? Meine Erinnerung bahnt sich einen Weg durch meinen Verstand. Ein Lichtblick, fern ab von allem Schlechten. Etwas was mir bereits in der Dunkelheit Trost verschaffen hat. Eine Stimme, so nah, dass ich überhaupt nicht anders konnte, als ihr zu erliegen. So zart und süß. Doch woher kam sie, war denn da noch mehr als Finsternis? „Geliebter Bruder, sei nicht so verdrossen. Du bist nicht allein. Wir sind alle bei Dir. Von uns allen musst Du diese Dunkelheit bereits am längsten ertragen, doch umso wichtiger ist es jetzt, dass Du weißt, dass wir hier sind.“ Ich spürte drei Hände auf meinem Rücken. Die Leere und die Einsamkeit wichen auf einmal und ich hatte keine Angst mehr. Als müsste ich sie auch nie mehr haben. Meine blinden Augen vergossen Tränen, so viele Tränen. „Geliebter Bruder“ Diese Worte vernahm ich seit Jahrhunderten nicht mehr, doch die warme Erinnerung bleibt mir, warst es doch Du, Demeter, geliebte Schwester. Angetrieben von den Rufen und schreien meines Vaters aus dem verfluchten Tartaros, reiße ich mich aus meiner Depression und schüre neue Hoffnung. Gibt es dort oben doch eine Sonne, die mich nicht blendet, sondern wärmen kann. Denn wie der Bauer den Samen einer kommenden Ernte sät, werde ich ebenfalls den ersten Samen des Lichtes säen, um somit selber zum Bauern zu werden, Demeter.

Tantalos

Und hier stehe ich nun. Der Pfad meiner eigenen Arroganz verschlug mich letzten Endes an diesen Ort. Zwar mag der Tartaros mein Heim bis in alle Ewigkeit sein, doch martern mich noch weitere Gräuel.
Wie lange vermag mich der aufbrausende Quell unter mir, der mir stets mit dem kühlen Tod droht noch zu widerstehen? Jedes Mal wenn ich mein Antlitz nach unten neige und versuche meine vertrockneten Lippen mit nur einem erlösenden Tropfen zu benetzen, flüchtet es vor mir und hinterlässt lediglich eine verstaubte Ödnis unter meinen nackten Füßen.
Die zierlichen Früchte über mir verspotten mich mit ihrer Süße und ihrem Glanz. Immer wenn meine Finger nur ein Lidschlag des ersehnten Gutes entfernt sind, entziehen sie sich mir und werden vom Wind davongetragen.
Der schwenkende Fels über meinem Haupt, welcher von einem Seidenfaden gehalten wird, erscheint mir neben all den Gräuel nur noch wie ein lausiges Versprechen an den Tod und die Angst die er mit sich bringen soll. Diese jedoch, habe ich längst abgelegt und stattdessen quälen mich Fragen über Fragen über meine vergangene Tat, auf die ich niemals Antwort erhalten werde.

Du oder Ich

Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen.
Beim Einatmen spüre ich wie grober Dreck durch meine Kehle in meine Lunge rutscht. Daraufhin fange ich an zu röcheln und zu husten um es wieder rauszuwürgen. Mit dem Gesicht voran im Matsch ist das allerdings ziemlich umständlich. Die Welt dreht sich um mich herum. Die Rufe der Zuschauer die entweder mir oder meinem Gegenüber gelten, nehme ich nur dumpf war. Fast als wären sie ganz weit weg, statt nur einen jämmerlichen Meter von mir entfernt. Vorsichtig versuche ich mich zu erheben, doch sofort lässt mich der Schmerz an meinen ganzen Körper zusammenfahren. Mein betäubter Geist lässt nicht zu, mich sofort wieder in den Kampf zu begeben. Ich will nach Hause. Zu meiner Mama. Zu meiner Großmutter. Zu irgendeiner Hure, nur um mich zu verstecken und in Sicherheit zu sein. Ich möchte zärtlich über den Kopf gestreichelt werden und geküsst werden. Überall sein, nur nicht hier.
Unweigerlich füllen sich meine Augen mit Tränen. Ich fange  nicht an zu heulen, aber es tut einfach so verdammt weh. Deswegen versuche ich ruhig zu atmen und Stück für Stück die Kontrolle über meinen Körper zurückzuerlangen. Das ist mein erster Kampf und ich bin der Neue. Und genau aus diesem Grund muss ich jetzt verdammt nochmal aufstehen. Ich stütze mich auf meine Ellbogen ab und sehe wie sich unter mir der Matsch mit Blut vermischt. Meinem Blut. Die Quelle des roten Saftes liegt in der vom Schmerz verzerrten Mitte meines Gesichtes wo früher mal meine Nase gewesen sein muss. Mehrmals gebrochen und vollkommen verformt sendet sie Hilfe rufend  Schmerzen durch meinen ganzen Körper und fleht mich zunehmends an doch bitte einfach aufzuhören. Doch ich kann nicht.
Mittlerweile müssen schon mindestens fünf bis sieben Sekunden vergangen sein nach dem Volltreffer den ich gerade kassiert habe. Eine beschissene Ewigkeit in einem Kampf wie diesen. Immerhin gibt es Regeln in diesem Kampf. Und mein Gegenüber kennt diese Regeln. Doch sie sind ihm scheiß egal.
Ein gezielter Tritt in meinen Bauch lässt mich Galle und Blut kotzen und wieder liege ich im Schlamm. Doch dieses Mal fühlt es sich anders an. Die Schmerzen sind unerträglich und mein Magen verbündet sich nun mit den Überresten meiner Nase um mich in die Knie zu zwingen. Aber die Schmerzen sind mir ab sofort egal. Sämtliche Überlebensinstinkte unterdrückt. Jede rationale Vernunft wird komplett ignoriert. Motive und Wünsche sind mir nicht mehr von Nutzen.
Denn ich stehe jetzt genau hier. Genau dort wo ich stehen muss und jetzt zählt einzig und allein der Wille. Doch mein Wille ist nicht hier heil raus zu kommen oder einfach nur zu überleben. Dafür ist nun kein Platz mehr. Es gibt nur noch den Willen meinen Gegner zu bekämpfen.
Alle Vorsicht abgestreift stehe ich nun auf meinen beiden Beinen und lasse mein altes, schwaches Ich im Dreck liegen. Wie ein zusammengekrümmtes, schwaches Kind liegt es einfach nur reglos da, während ich mich nun erhebe. Mein Widersacher grinst mich dümmlich an, während mein nackter Oberkörper und mein Gesicht komplett  mit Matsch und Blut bedeckt sind. Ich mache mir nicht einmal die Mühe meine Augen abzuwischen sondern ziehe meine Nase hoch und speie meinem Gegenüber vor die Füße. Der Schmerz ist da. Irgendwo. Aber nicht mehr bei mir.
Der menschliche Ring aus Fleisch brüllt und schreit. Rotz, alte Handtücher und Beleidigungen werden geworfen. Hauptsächlich gegen mich. Es ist Tradition, dass der Neueste im ersten Kampf  gegen den Besten kämpfen muss.
Und der Beste grinst mich immer noch dümmlich an. Doch ich lache nun zurück. Wie verrückt hebe ich meinen Kopf und ich lache. Ein markerschütterndes Gebell entspringt meiner Kehle und meine Arme heben sich provokant. Meine Hände winken dem Besten zu, dass er kommen soll. Wenn er es sich denn traut.
Für den Bruchteil einer Sekunde sehe ich Zweifel im selbstsicheren Grinsen meines Gegenübers. Und im nächsten Augenblick fliegt seine Faust mit pfeifendem Geräusch auf mein Gesicht zu. Im letzten Moment kann ich meinen Kopf noch zur Seite drehen um das Schlimmste abzuwenden, doch der stählerne Rammbock trifft direkt auf mein rechtes Jochbein. Hätte ich mich nicht gedreht hätte dieser Schlag mir vermutlich meinen scheiß Kopf abgerissen.
Nichts vermag meinen Sturz zu bremsen, doch in diesem Moment hält die Zeit für mich inne und alles um mich herum wird plötzlich ruhig und langsam. Es ist so ruhig, dass ich meinen Puls wie Donnerschläge in meinen tauben Ohren hören kann. Durch die Wucht des Schlages drehe ich mich um meine eigene Achse. Aber in diesem Moment geschieht nichts ohne dass ich es nicht will. Und so drehe ich mich, fange mich auf dem Boden mit beiden Armen ab und schleudere meine rechte Faust direkt gegen die Oberlippe des Besten. Der Aufschlag ist so laut wie ein Meteoritenschlag und alle Dinosaurier sterben meinetwegen aus. Eine Druckwelle entsteht die mindestens noch mehrere Kleinstädte im Umkreis von 200 Kilometern einfach hinwegfegen. Mindestens zwei Knochen meines Handrückens brechen als ich mit meinem Hammer auf diesen Amboss schlage. Meine Schulter tänzelt geschickt aus seinem Gelenk und ist damit einfach ausgekugelt. Vermutlich hat sich sogar meine Sehne einfach verabschiedet..
Doch der Kollos geht ungehindert zu Boden. Für einen winzigen Augenblick, bevor er seine Augen ohnmächtig schloss, konnte ich seine Verwunderung sehen. Jetzt lebe ich.
Alles ist ruhig. Tatsächlich ruhig. Nicht diese Art von Ruhe wenn sich um einen herum  nichts bewegt und ausnahmsweise mal die Klappe hält. Nein. Die Art Ruhe die man sonst nur beim Schlafen oder im Tod kennt. Und ich höre meinen Puls nicht mehr.
Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen.
Gleich darauf springe ich auf ihn und lasse meine Fäuste abwechselnd niederschmettern. Wie ein Schmied der versucht mit aller Härte das Metall zu seinem Willen zu verbiegen um etwas Besonderes herzustellen. Doch ich will nichts herstellen. Ich will etwas kaputt machen.
Links. Das Gesicht des Besten verschwimmt vor meinen Augen und ich sehe meine Ex-Freundin. Rechts. Das Gesicht meines Vorgesetzten erscheint und blickt mich vorwurfsvoll an.
Links. Der Typ, der mich in der Schulzeit verprügelt und gedemütigt hat, lacht mich an.
Rechts. Mein eigenes Antlitz bildet sich ab.
Noch immer lache ich wie ein Wilder und ich verliere immer mehr meine Beherrschung. Fast ist es so als wäre das gar nicht ich, der den Besten schlägt. Wie ein zweites Ich stehe ich neben mir. Immer lauter brülle ich vor Erregung, denn ich habe noch lange nicht genug. Mein Gesicht verzerrt sich zu einer Fratze des Lachens und des Brüllens. Die Welt des Schmerzes und der Gewalt ist nun mein Heim. Genau hier gehöre ich hin. Genau hier ist mein Platz. Fast ist es so als hätte ich vorher nirgendwo anders sein dürfen.
Für einen Moment sauge ich Luft in meine brennenden Lungen und höre auf, auf den Besten einzuschlagen. Lediglich das pfeifende Geräusch des Besten, der kläglich versucht durch seine zertrümmerte Nase zu atmen ist zu hören.
„Nun komm schon!“
Dabei schaue ich das erste Mal ohne den blutroten Vorhang vor meinen Augen an mir und meinem Gegenüber herab. Sämtliche meiner Finger sind gebrochen und stehen unnatürlich ab. Fingernägel sind abgerissen und zum Teil unzertrennlich in das geschundene Fleisch des Besten eingehämmert. Mein rechter Arm hängt nun wie totes Fleisch an meiner Seite herab. Mein ganzer Unterarm, mein gesamter Körper  ist mit Matsch und Blut bedeckt. Von meinem und seinem. Hauptsächlich von seinem.
Und ich schlage weiter auf ihn ein.

Was ich nicht will

Früh am Morgen schreit der Wecker laut und weckt ihn ohne Vorwarnung mit dem schrillen Piepen aus seinen Träumen. Ich will mit blutüberströmten Gesicht vor meinen Kameraden stehen. Ihnen zu rufen und mit ihnen in die Schlacht ziehen! Mit einem leichten Schlag auf den Plastikwecker nimmt der Weckruf ein jähes Ende. Er wirft die Bettdecke beiseite. Ich will mit stolz erhobenen Haupt an eine Masse von Menschen vorbeigehen, während sie mir Rosenblüten entgegenwerfen. Nur wohlgesinnte Gesichter sollen mir entgegen strahlen! Für einen kurzen Moment verweilt er einfach nur so da. Liegt im Bett und geht keinen Gedanken nach. Nur hohle Erschöpfung macht sich in seinen steifen Gliedern breit. Ich will in der dunkelsten Nacht, am längsten Strand das Himmelszelt betrachten. Ich will mir vorstellen auf den Sternen zu reisen! Widerwillig und mürrisch, verschlafen und unmotiviert begibt er sich allmählich hoch und muss bereit für den frisch angebrochenen Tag sein.

Ich will mit verbunden Augen über eine befahrene Straße laufen. Gleich einer Münze mit zwei Seiten meine Chancen abwägen! Seine nackten Füße berühren den kalten Boden und ein unangenehmer Schauer läuft über seinen Rücken. Ich will sie verführen, berühren und in sie eindringen. Solange, bis sie um Gnade fleht. Solange, wie meine Leidenschaft brennt! Wie ein gewohnte Formel, streicht er sich mit beiden Händen übers Gesicht. Reibt sich den Schlaf aus den Augen. Ein lautes Knacken erklingt aus seinem Rücken als er sich reckt. Ich will mit einem Mountainbike an einer Klippe entlang fahren. Unter mir soll sich der Abgrund erstrecken und ebenso der Hauch der Angst dem ich damit trotze! Auf einmal geht durch sein Körper ein ruck und er begibt sich ins Bad. Mit leeren Augen sucht er sich seinen Weg. Ich will in einer Arena stehen und meinem Gegner in sein blutverkrustetes Gesicht starren. Tosender Beifall begleiten mich während er immer weiter auf mich einschlägt und ich zum Gegenschlag aushole! Ohne dem Radio eines Blickes zu würdigen schaltet er es ein und eine sonnige Stimme erzählt ihm dass es 6.25 Uhr sei.

Ich will den heranpreschenden Maßen mit schallendem Gelächter entgegen Reiten. Ihr Hass auf mich wird mich nicht verzagen lassen sondern nur anstacheln! Das Wasser fließt wie lauwarmer Nektar durch seine Hände. Als er sich das Gesicht benetzt seufzt er wohlig auf. Ich will ihr wunderbares Antlitz im Kerzenschein vorsichtig Küssen. Zärtlich ihr Gesicht halten. Ihr sagen dass es nie zu Ende gehen wird! Sein Rasierer fährt über sein Gesicht, seine Zahnbürste zieht seine Kreise und sein Deoroller geht ein letztes Mal über seine Achseln. Ich will mit einem Motorrad über eine Wüstenstraße fahren. Mit brachialer Gewalt will ich gegen den Fahrtwind ankämpfen und die Landschaft soll wie eine vermischte Farbpalette an mir vorbeiziehen! Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel verrät ihm dass er fertig ist. Ich will meinem  Neugeborenen als Erster in seine Augen schauen! Auf dem Weg zum Kühlschrank schaut er noch einmal auf die Uhr. Er liegt gut in der Zeit. Ich will von einem Wasserfall aus in einen See springen. Der tosende Strom der Wassermassen soll meine Lebensgeister wecken! Brot, Butter, Salami. Etwas gelangweilt starrt er in den Fernseher und kaut in Ruhe sein Brötchen. Ich will am entlegensten Ort, im ruhigsten Platz, der Stimme des Kosmos horchen. Mich mit Leib und Seele der Ruhe hingeben und ergründen was wichtig ist! Der letzte Knopf des Hemdes geht zu. Sein Blick fährt von der Uhr zu einem aufgehängten Bild. Ich will Knochen bersten hören und Blut spritzen sehen. Ich will unterliegen und mich doch wieder erheben, um meinem Gegner zumindest in die Augen sehen zu können wenn ich falle! Kaum zu hören ist sein Seufzen als er in das eingerahmte Gesicht blickt. Er verliert sich darin. Wieder fragt er sich, was sie wohl gerade denkt und tut. Ich will mit meinen Brüdern lachend und saufend am Lagerfeuer verbringen. Über vergangene Tage und bevorstehende Taten reden! Ihm bleibt nichts anderes als den Blick abzuwenden und sich auf den Weg zu machen. Was bleibt ist die Frage, die er sich gerade stellte. Ich will einen Berg besteigen und die Harmonie der Aussicht genießen. Sämtliche Sorgen sollen mich nicht erreichen können! Nun doch hektisch packt er alle seine Sachen zusammen und verlässt seine Wohnung im Trab. Ich will vor Erschöpfung kaum noch stehen können. Wenn mein Körper es nicht mehr schafft, soll mein Wille meine schwachen Glieder lenken, nur um weiter kämpfen zu können! Hektisch stolpert er die Straße entlang. Er darf nicht zu spät kommen!

Ich will wissen was ich will ..

In letzter Sekunde erreicht er seinen Bus. Er steigt ein und kann sich nun gelassen auf einen der Sitze niederlassen, denn er wird rechtzeitig zur Arbeit kommen.

Orpheus & Eurydike

Kapitel 1: Hege die Liebe und sie wird wachsen

Eurydike. Geliebte Eurydike. Wie sehr ich dich liebe, wie sehr ich dich brauche und wie viel du mir bedeutest. Worte alleine können nicht entsinnen welche Gefühle ich dir entgegen bringe. Deine Nähe ist wie eine weiche Liebkosung meiner Sinne und deine Berührung wie Feuer welches fordernd und leidenschaftlich prickelnd auf meiner Haut nur Wohllust hinterlässt. Auch wenn ich dir nahe bin, so nahe wie ein Mensch einem anderen nur sein kann, fühle ich mich dir doch nicht so nahe genug, wie ich es mir wünschen würde. So wie ich dich nun nackt und wunderschön wie du nun einmal bist vor mir liegen sehe, ist es mir gar nicht möglich auch nur an etwas anderes als an dich zu denken. Bitte .. Bitte, sag jetzt nichts. Denn dieser Moment in seiner vollkommenen Reinheit, ist perfekt und, verzeih wenn ich das nun denke, selbst deine liebliche, Wein süßliche Stimme vermag diesem Moment nichts an Schönheit anzureichern. Wie warmer, goldener Honig, will ich von diesem Moment zerren. Unersättlich und gierig will ich davon nehmen, bis garantiert ist, dass nichts von deiner Anmut verschwendet wird. Vergiss die Götter, geliebte Eurydike. Vergiss die Zeit, welche so flüchtig ist und nie wieder einzukehren scheint. Vergiss selbst die Sterblichkeit, denn es ist genau dieser Augenblick der uns unsere Unsterblichkeit gibt. Doch, wehe mir, wie soll ich das Glück, welches Du mir so gutherzig darbietest, vergelten?

Genug meiner eigenen dunklen Gedanken, ehe ich mir selbst meine Seele betrübe. Auch genug meiner sinnlichen Gedanken deiner Lieblichkeit, denn nun will ich mich dir vollends hingeben. Nichts, außer deinem markellosen Körper vermag nun meiner Lust zu dir Einhalt zu gebieten. Ich will mir alles von Dir nehmen, was Du mir bietest. Und dies ist unvorstellbar viel. Während ich meine Arme um deinen Körper lege und jedes einzelne Stück zärtlich erkunde, erzitterst Du unter meiner Berührung. Ungeachtet dessen, verfalle ich den dunklen Rausch meiner Sinne, während dein lustvolles Stöhnen, den Rythmus meiner Bewegung folgt.

Stunden vergehen seit unserer Vereinigung und seit Stunden liege ich wach neben Dir. Mein rastloser Geist erlaubt mir keine Ruhe und keinen Schlaf. Trotzdem blicke ich verträumt auf Eurydikes Brustkorb der sich langsam auf und ab bewegt. Nichts lieber würde ich tun, als weiter hier zu legen und ihren ruhigen, sinnlichen Schlaf zu verfolgen, doch ich muss mein Gemüt beruhigen, die Gedanken klären. Widerwillig erhebe ich mich und begebe mich zu meinen gewohnten Platz, welcher mir wie immer Entspannung und Frieden verspricht. Im Fensterrahmen sitzend schaue ich der aufgehenden Sonne zu, wie sie sich aus Eos erhebt und den Weg zum Himmelsgewölbe sucht. Doch noch ist es nicht so weit. Rot-goldenes Zwiellicht trägt die Welt in seinen behaglichen Schoß von unsagbarer Undurchdringlichkeit. Dieser Teil des Tages ist der verschleierteste und geheimnisvollste. Weder Tag, noch Nacht. Ähnlich wie meine Gedanken, denn kann ich noch nicht mit Sicherheit sagen, ob dies alles Realität oder nur ein Traum ist, welcher auf einen grausamen Scherz der Götter zurückzufuhren ist. Sobald ich erwache und dann nicht mehr meine Angebetete neben mir liegen siehe. Denn ähnlich wie ich meine Liebe für Eurydike nicht in Worte fassen kann, könnte ich meinen Schmerz nicht verständlich machen.

Doch nun ist es Zeit für mich meine Augen zu schließen und dem Glanz der Sonne ein würdiges Willkommen entgegenzubringen. So fange ich an zu summen. Blumen erblühen, Vögel verstummen, Rehe horchen, Bäche rauschen leiser, Bäume schwanken im Rythmus meiner Melodie und die Sonne hält inne. Über die gesamte Welt, legt sich ein sanftes Tuch der Stille, um ehrfürchtig meinem Gesang zu lauschen. Für einen kurzen Moment herrscht stummer Frieden und das für alle. Angelockt von meiner Melodie, gesellen sich Tiere verschiedenster Gattung zu mir, um in Frieden mit mir zu verweilen. So wundert es mich nicht, als sich plötzlich eine schlanke Hand auf meine Schulter legt. Dennoch öffne ich meine Augen nicht, sondern begrüße meine Geliebte indem ich meine Hand auf die ihre lege und für sie weiter singe. Nach einem schier unermesslichen Augenblick nimmt sie meine Hand und legt sie behutsam auf ihren Bauch. Erschrocken suche ich ihren Blick. Mit einem Lächeln nickt sie mir bedeutend zu und ich verstehe. Unfassbar meines Glückes, lasse ich mich wieder in meinen Gesang fallen und lächle wieder. Die Sonne ist aufgegangen und nun ist es Tag.


Die Verurteilung

Seit ich denken kann, trage ich große Verantwortung. Für meine Brüder, Gefährten, für die Menschen. Ab dem Zeitpunkt wo ich geboren wurde lebte ich mit dem Gefühl gehasst zu werden. Nur die unendliche, aufopfernde Liebe meiner Mutter habe ich es zu verdanken, nicht vollends den Glauben für die vermeintlich richtige Sache zu verlieren. Wie soll ein Herrscher rechtschaffend regieren können, wenn ihm selbst, als vollkommen unschuldiges Baby solch Unrecht wiederfährt? Durch meine Entscheidungen ziehe ich immer wieder aufs neue den Unmut meiner Liebsten auf mich. Und doch versuche ich immer alles im Namen eben jeder zu tun, um unser Leben wie wir es nun kennen und lieben gelernt haben, zu erhalten.

Dem unendlichen Hass meines Vaters zum Trotz, nehme ich diese Bürde auf mich, obwohl es auch dieser ist, der meine Gefühle trübt. Er ist es, der mich die Wärme anderer Frauen suchen und meine Gattin so oft verbittern lässt.. Und er ist es, der mich des öfteren zu mancher frevelhaften Entscheidung verleitet.

Ich kann in ihren Blicken lesen, die Blicke meiner Geschwister, Söhne und Töchter. Meine Weisheit zum Fluch, weiß ich was sie denken. Doch im Moment ist es nicht der vorwurfsvolle Blick meines Weibes allein. Es sind alle. Die Olympischen sitzen auf ihren Plätzen während ein Sterblicher in Tonnenschweren Ketten vor mir kniet. Tantalos blickt mich aus verzweifelten Augen heraus an. Genau derselbe Blick, mit dem mich jeder Angeklagter vor seinem Urteil anblickt. Verzweiflung, Resignation und Angst. Ich sehe es ganz deutlich. Und ganz allein dieser Blick ist es, der mich zögern lässt. Jedes Mal aufs neue, sehe ich mich in dieser Situation konfrontiert mit der Unsicherheit vielleicht doch falsch zu handeln. Aber etwas in Tantalos Augen ist anders als bei den üblichen. Es ist etwas was mir besonders auffällt und zwar ist es die Aporie. Er stellt sich die Frage wie ich so herzlos handeln aknn, warum mir nicht ein einzelner Gedanken auf Gnade in den Sinn kommt. Und er verurteilt mich dafür. Aber es ist genau das, was eigentlich von mir verlangt wird. Ein hartes, unbeugsames und absolut unabhängiges Urteil. Sie denken, ich würde aus Rachesucht und Jähzorn handeln, zur Befriedigung meiner eigenen Bedürfnisse. Die Bedürfnisse eines Machttollen alten Mannes, der an Hybris leidet und dies alles für einen kurzen Rausch der Macht tut! Aber .. wie soll ich nur? Tantalos hat furchtbaren Frevel an den Göttern unternommen und dafür wird mein Zorn auf ihn herabregnen. Ich schaue durch die Runde meiner Kinder und Geschwister. Am Ende der Tafel sitzt Pelops. Mein Blick bleibt an ihm haften und ich versuche seine Gedanken zu ergründen. Doch ich entdecke nicht als Schwärze. Sein arpathischer Blick ist nicht auf den Angeklagten gerichtet, sondern vielmehr auf seine linke Hand, die ein Teil seines neuen Schulterblattes ist. Seine Gedanken müssen in das vollkommene Dunkel gefallen sein, denn nicht einmal ich, vermag mir vorzustellen wie Pelops in diesem Moment fühlt. Allmählich zweifle ich an meiner Entscheidung ihm dem Totenreich entzogen zu haben und ihm weiter mit dieser Last leben zu lassen. Doch ich tat es aus Mitgefühl und barmherzigkeit. Oder bin ich etwa dazu verdammt aus meinen Entscheidungen heraus nur Unglück über alle die zu bringen, die mir nahe stehen? Es wird sich zeigen. Denn nun sehe ich wieder herab zu Tantalos und ein unbändiger Zorn steigt in mir auf. Wieder einmal werde ich von jemanden zu einer Entscheidung gezwungen, die ich eigentlich niemals treffen wollte. Ich habe gar keine andere Wahl! Der Zorn steigt in mir auf, für den ich so nun so berüchtigt bin. Der Zorn, der mein Gesicht in dunkle Falten sinken lässt und meine Augen förmlich verglühen lässt. Es ist nicht die Tat des Tantalos die mich so unglaublich aufbrausen lässt, sondern vielmehr die Auswirkung und die Konsequenzen, die ich aufgrund des Frevlers nun tragen muss! Eben genau aus diesem Grund muss ich meine Sinne wieder beruhigen und die Entscheidung treffen, die eines Herrschers würdig ist. Nicht die, eines resignierten, alten Mannes, der bloss noch seine Ruhe haben will.

Ich erhebe mich zu voller Größe und blicke nun noch viel tiefer auf Tantalos herab. Wie gebannt warten alle Anwesenden, dass ich, der Göttervater, nun das Urteil verhänge. Ein unbehagliches, aber mit den Jahren zunehmend vertrautes Gefühl steigt in mir auf als sich mein Finger erhebt und auf Tantalos zeigt. Dieser zuckt zusammen und selbst seine so schweren Ketten können nicht verhindern, dass er zurück weicht.

„Tantalos“, spreche ich und nur dieses eine Wort lässt die Hallen erbeben, „du hast schrecklichen Frevel an uns Himmlischen getan. Du mißbrauchtest unser Vertrauen und unsere Liebe zu dir. Ich vermag überhaupt nicht in Worte zu fassen, was dich zu einer solch grausamen Tat bewegt hat, deinen eigenen Sohn ..“ Weiter schaffe ich es nicht, deswegen schüttel ich nur noch vorwurfsvoll mein Haupt. Mit meiner letzten Geste geht ein Raunen durch die Versammlung. Genau so, wie ich es beabsichtigt habe. Sie alle sind auf meiner Seite, aber nicht für lange.

„Deswegen wirst du bis Helios das letzte Mal die Sonne über das Himmelsgewölbe fährt, in den Tartaros verbannt!“ Wieder lasse ich meine Stimme in den himmlischen Hallen erklingen, bis das Echo verstummt. Die Olympischen sehen zu mir auf und ich lese Zufriedenheit in ihren Augen. Doch dies war erst der Anfang.

„Und während du den Rest der Zeiten dort verbringst, wirst du in deine tonnenschweren Ketten gelegt. Hunger und Durst werden deine stetigen Begleiter sein. Die ewige Angst vor dem Tod, soll über deinem Haupte wachen und das infernalisches Bellen des Höllenhundes soll sich langsam in deinen Verstand fressen! Dies ist mein Urteil! Auf Ewig!“

Ich lasse ein Gewitter aufziehen und einen grellen Lichtblitz, direkt vor Tantalos einschlagen, um mein Urteil Nachdruck zu verleihen. Es wirkt.

Alle Anwesenden schrecken hoch, Tantalos weint stummt in sich hinein und sogar Pelops wird aus seiner Lethargie gerißen und schaut traurig zu seinem Vater. In seiner Seele kann ich nun tiefste Taruer lesen, seine eben noch so arpathischen Augen zeigen ehrliches Mitleid für seinen verdammten Vater. In mir wütet ein Kampf zwischen der Vernunft ein richtiges Gericht gegen den Frevler ausgesprochen zu haben und der irrationalen Liebe die dieser Knabe für seinen Vater empfindet, trotz dieser Tat. Welche Macht kann diese Liebe schon brechen? Ich bin mir sicher, meine nicht. Und doch habe ich gesprochen. Nichts kann meinen Spruch wieder umkehren, ich habe mich entschieden. Ein kurzes Nicken zu Hades reicht, damit dieser aus einer dunklen Ecke hervortritt und langsam auf Tantalos zugeht. Mein Bruder will gerade mein Urteil vollziehen, als Tantalos Haupt sich erhebt und seine mit Hass gefüllten Augen sich gegen mich richten. Meine Augen weiten sich vor Schreck. Trotz meiner unendlichen Weisheit, habe ich nicht mehr damit gerechnet, dass dieser Moment noch kommen würde. Denn nun würde es beginnen. Nun beginnt meine Verurteilung.

„Ihr himmlischen. Ihr Olympischen. Ihr Götter! Ihr arroganten, seid Schuld an mein Verderben! Ihr Alle! Ihr habt mich dazu getrieben! Ihr sollt verflucht sein! Doch du, Göttervater, ganz besonders du! Du sollst verflucht sein!“ Hohn, Spott, Hass und Aussichtslosigkeit sind die Saat die aus diesem gebrochenen Mann sprechen. Ich vermag nichts dagegen zu setzen. Es verfehlt seine Wirkung nicht. Hades fasst auf Tantalos Schulter und bevor dieser in einem roten Blitz verschwindet suche ich einen letzten Blick in seine Augen. Ich vernehme nichts anderes als Arpathie und bin dafür dankbar.

Ruhe kehrt in die himmlischen Hallen ein und die Olypmischen warten auf ein Zeichen, das die Versammlung vorrüber sei. Niemand spricht auch nur ein Wort und vergeblich suche ich nach Verständnis oder Mitgefühl. Mit einer kurzen Geste schließe ich die Versammlung und löse den Kreis auf. Allein stehe ich vor der Tafel und lasse mich vorsichtig, fast schon gebrechlich auf meinen Thron sinken. Mein Kopf stützt sich schwer auf meiner Faust ab und ich starre auf den Punkt wo eben noch Tantalos kniete. Mein Zorn ist verflogen, meine Wut gebrochen, die Hitze meines Gemütes abgekühlt. Doch die Verständnislosigkeit und der Schwermut sind geblieben.